Vortrag und Gespräch zu Leerstandswiederbelebung: Das Goethequartier in Bremerhaven – Lehe

veröffentlicht am 15. November 2016 in Projekte | Termine
KONTEXT – STADT UND STADTTEIL

Das Goethequartier liegt im Bremerhavener Stadtteil Lehe. Die Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung sind nicht einfach: Bremerhaven hat stark mit den Problemen des Strukturwandels zu kämpfen. Bedingt durch die Werften- krise, den Abzug der amerikanischen Streitkräfte 1993 und den demografischen Wandel ist die Einwohnerzahl seit den 1990er Jahren stark zurückgegangen. Erst seit 2012 ist ein leichter Aufwärtstrend durch Zuzüge aus dem Umland und durch Fernwanderungen zu verzeichnen. Aktuell zählt die Stadt etwa 115.000 Einwohner.

Zwar hat die Stadt mit der Erweiterung des Container- hafens ihre Position als bedeutender Containerumschlag- platz gestärkt und auch in den Branchen Offshore-Wind- energie und Tourismus sind neue Arbeitsplätze entstanden, dennoch liegt die Arbeitslosenzahl in Bremerhaven nach wie vor deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die Anzahl der Personen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt benö- tigen, steigt seit Jahren kontinuierlich.

Das Goethequartier ist mit seiner charakteristischen Blockrandbebauung das einzige, noch geschlossen erhalte- ne Gründerzeitviertel Bremerhavens. Mit rund 7.600 Einwoh- nern zählt es zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Stadt. Trotz seiner Lagequalitäten mit der Nähe zum Hafen, zur Weser, zur Geeste und zum Zentrum gehört es zu den am stärksten benachteiligten Quartieren. Die Konzentration von Sozialhilfeempfängern ist eine der höchsten im Stadtgebiet. Der Wohnungsleerstand ist hoch und die Mieten stagnieren seit Jahren auf niedrigem Niveau. Aufgrund seiner städtebau- lichen und sozialen Problemlagen steht das Goethequartier seit langem im Fokus von Stadterneuerung und Stadtteil- arbeit. In den 1990er Jahren war es Sanierungsgebiet, ab dem Jahr 2000 dann im EU-Programm URBAN II und seit 2007 ist es im Programm Stadtumbau West. Im Rahmen der verschie- denen Programme wurden viele Maßnahmen ergriffen und Projekte umgesetzt: so zum Beispiel die Umnutzung der ehe- maligen Theodor-Storm-Schule zu einem Zentrum für Familie, Arbeit und Kultur (»Theo«) oder die Schaffung eines zentralen öffentlichen Freiraums – dem Leher Pausenhof – durch den Abriss der ehemaligen Deichschule.

Auch im derzeit größten Handlungsfeld, dem Umgang mit verwahrlosten Immobilien, die das Image des Viertels schädigen und Investitionen in der direkten Nachbarschaft verhindern, ist die Stadt gemeinsam mit der Städtischen Wohnungsgesellschaft Bremerhaven aktiv. Sie haben »Moderatoren« zur Ansprache der Eigentümer eingesetzt und sich mit dem Vorkaufsortsgesetz das Vorkaufsrecht für 16 verwahrloste Immobilien gesichert, um weitere Immobi- lienspekulationen zu unterbinden und nachhaltige Projekte zu entwickeln. Über neue Wohnangebote und -formen sollen Studierende, Kreative und junge Familien für das Quartier gewonnen werden.

Es gibt also wichtige positive Entwicklungsimpulse im Goethequartier und darüber hinaus ein hohes bürgerschaftliches Engagement, das sich u.a. in einer aktiven Stadtteilkonferenz, einer Eigentümerstandortgemeinschaft, dem Bürgerverein Lehe und weiteren Bürgerinitiativen manifestiert.

PROJEKTIDEE / IMMOBILIE – PLÄNE UND ZIELE

Am Leher Pausenhof sollen in zwei zum Verkauf stehenden Immobilien mit etwa 1.000 m2 Nutzfläche ein Stadtteilhaus aufgebaut und Räume für die Nachbarschaft geschaffen werden – Räume für Begegnung, Stadtteilkultur, Beratungs- und Unterstützungsangebote, aber auch für selbstorganisierte Nutzungen. Die Ideen für das Raumangebot reichen vom Café über Werkstätten, Seminarräume bis hin zu einem Hostel. Ziel ist es, mit dem Stadtteil- oder Kreativhaus einen neuen Kristallisationspunkt für das Stadtteilleben zu schaffen. Es sollen neue Bewohnergruppen gewonnen und damit die soziale Durchmischung gefördert werden. Die sozialen Beratungs- und Serviceangebote sollen dazu beitragen, die Teilhabechancen der heutigen Quartiersbevölkerung zu verbessern.

Im Rahmen eines Workshops mit der Stiftung entwickelten die Projekteinreicher für ihre Idee eine weiterge- hende Perspektive: Vorgesehen ist nun, weitere Immobilien verkaufsbereiter Eigentümer rund um den Leher Pausenhof in ein räumliches Verbundprojekt einzubeziehen, um so die verschiedenen Nutzungswünsche räumlich zu entzerren und zusätzlich Raum für neue, innovative Wohnangebote wie zum Beispiel in Form eines Selbstausbau-Hauses zu schaffen. Der ursprüngliche Flächenansatz des Projekts wurde von ca. 1.000 m2 auf 3.000-4.000 m² erweitert.

Ehrenamtliche und hauptamtliche Kräfte und Ressourcen sollen gebündelt werden, um mit diesem Projekt eine »Keimzelle« zu schaffen, die auf Dauer positiv ins Quartier ausstrahlt. Die finanzielle und organisatorisch-inhaltliche Unterstützung der Stiftung und ihr Blick »von außen« sollen dazu beitragen, dem Projekt die nötige Impulswirkung und Reichweite zu geben.

Mit möglichen Überschüssen aus der Immobilienbewirt- schaftung sollen Kursangebote für Kinder und Jugendliche, Nachbarschaftsfeste u.ä. anteilig gefördert werden. Unter den schwierigen Bedingungen des örtlichen Immobi- lienmarktes ein auf lange Sicht selbstständig wirtschaft- lich tragfähiges Projekt zu entwickeln, bleibt allerdings die große Herausforderung.

AKTEURE – MACHER, PARTNER UND UNTERSTÜTZER

Die Ideenskizze wurde gemeinsam von einem breiten Spektrum an Kooperationspartnern entwickelt, die bereits auf eine langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit zurückblicken. Die Initiative für das Projekt kam von Seiten des Stadtplanungsamtes, das sich schon lange im Stadtteil engagiert und für eine soziale Stadtteilentwicklung ein- setzt. Als starker und aktiver Partner steht ihr die Städtische Wohnbaugesellschaft (STÄWOG) zur Seite, die bereits mit gutem Erfolg verschiedene Immobilien im Quartier saniert hat, künftig weitere Wohnprojekte zum Beispiel für studentisches Wohnen plant und auch bereit wäre, die Trägerschaft für das Stadtteilhaus zu übernehmen.
Die Volkshochschule (VHS) würde die neuen Räumlichkeiten mitnutzen und sich so im Rahmen der Organisation des Betriebes beteiligen. Auch das Kulturbüro stünde als weiterer erfahrener Partner zur Verfügung. Der Bürgerverein Lehe, der bereits den Leher Pausenhof mit ehrenamtlich organisierten Angeboten für Kinder und Jugendliche betreibt, möchte gerne Räumlichkeiten in der Nähe des Pausenhofes schaffen und dafür nutzen, weitere Begegnungsmöglichkeiten und Kinderangebote anzubieten.

Die Vertreter der Stadtteilkonferenz engagieren sich ebenfalls für das Projekt; mit der Quartiersmeisterei Lehe ist zudem ein weiterer, im Quartier gut vernetzter Akteur im Boot. Darüber hinaus soll eine systematische Zusammenarbeit mit den Bremerhavener Wohnungs- baugesellschaften aufgebaut werden.

Zwar hat die Stiftung mittlerweile entschieden, sich mit dem Programm Initialkapital nicht in Bremerhaven, sondern in Halle zu engagieren, doch die Dynamik der Auslobung und des gemeinsamen Ideenworkshops im Goethequartier wirken bis heute nach. Die Kommune plant, einen städtebaulichen Rahmenplan für den Stadtteil Lehe zu erarbeiten und ist mit ersten privaten Investoren im Gespräch, um die Initialkapital-Ansätze weiter zu verfolgen. Mit der Auszeichnung des Lehe-Treffs, einer Freizeitstätte für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene vor Ort, als eines der nationalen Infrastrukturprojekte des Zukunftsinvestitionsprogramms »Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur« konnte sie außerdem die weitere Entwicklung dieses wichtigen Bausteins im Quartier sichern.

Quelle: Montag Stiftung – Quartiere kooperativ entwickeln (S. 48- 50)